Helikopter-Eltern: Warum überfürsogliche Eltern ihren Kindern mehr schaden als nützen

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Früher war alles besser. Diese Plattitüde lässt sich in der Gesellschaft gerade in den vergangenen Jahren immer öfter wahrnehmen. Und nicht wenige Eltern werden dieser Aussage ohne mit der Wimper zu zucken zustimmen. Paradoxerweise stimmt die Aussage speziell aus Sicht der Kinder. Allerdings nicht so, wie sie in weiten Teilen der Elternschaft aufgefasst wird. Denn das daraus resultierende Phänomen der beschützenden Helikopter-Eltern schadet dem Nachwuchs tatsächlich mehr als es nutzt. Aber warum ist das so?

Wahnsinn vor den Schultoren

Jeden Morgen aufs Neue bricht vor so mancher Schule ein wahres Verkehrschaos aus, das nach dem Vernehmen von Lehrkräften und Verkehrsverbänden gerade im letzten Jahrzehnt massiv zugenommen hat. Unzählige Elterntaxis drängen sich vor den Schultoren, um den Nachwuchs möglichst nah am Schulgebäude abzusetzen. Die Motive dafür sind durchaus unterschiedlich. Während die Schule bei manchen Eltern ohnehin auf dem Arbeitsweg liegt oder die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln unverhältnismäßig lange dauern würde, existiert jedoch auch eine große Gruppe an Eltern, die ihren Nachwuchs aus übergroßer Sorge selbst über kürzeste Strecken zur Schule fahren.

Diese spezielle Form des gut gemeinten Helikopter-Elterntums verursacht aber paradoxerweise mehr Probleme als sie löst. Gerade vor Schulen wird dies deutlich, denn das Verkehrschaos samt gefährlichen Wendemanövern trägt zu allem anderen bei, aber unter Garantie nicht zu einem sicheren und gefahrlosen Start in den Schultag. Die Problematik geht in vielen Kommunen bereits so weit, dass Schulen mehrere hundert Meter entfernt spezielle Haltestellen für Elterntaxis eingerichtet haben, um die teils brenzlige Verkehrssituation vor den Schultoren zu entzerren.

Was sind Helikoptereltern?

Das einleitende Beispiel hat bereits eindrucksvoll gezeigt, dass „gut gemeint“ nicht immer „gut“ bedeutet. Damit wir uns dem Phänomen der Helikopter-Eltern jedoch nähern können, brauchen wir zunächst eine grobe Definition, auf deren Basis wir uns auf die Suche nach Ursachen machen können. Die Psychologin Dr. Ann Dunnewold hat diesbezüglich eine einfache Definition zusammengestellt. Laut Dunnewold handelt es sich bei Helikopter-Eltern um überängstliche Eltern, die ihren Nachwuchs vor jeder noch so kleinen Gefahr beschützen möchten.

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Hinzu kommt der Wunsch, den eigenen Kindern ein perfektes Leben zu organisieren, schwere Entscheidungen abzunehmen und sogar Langeweile zu verhindern. All das sind durchaus gut gemeinte Motive, die sich allerdings schnell ins Gegenteil verkehren. Ihren Namen haben die Helikopter-Eltern damit dem Umstand zu verdanken, dass sie wie Hubschrauber allgegenwärtig über ihren Kindern kreisen. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die Freizeit zu Hause, den Besuch auf dem Spielplatz, den Schulweg oder sogar die Schule selbst handelt.

Warum Helikoptereltern ihrem Nachwuchs schaden

Auch wenn es Helikopter-Eltern gut meinen, so führt die Allgegenwärtigkeit doch vor allem zu einem: Der Nachwuchs erhält nicht die Möglichkeit, sich zur Selbstständigkeit hin zu entwickeln und eigene Erfahrungen zu machen. Gerade dieser Aspekt ist jedoch insbesondere für junge Menschen, deren Gehirn noch extrem plastisch und lernfähig ist, enorm wichtig. Das gilt beispielsweise für das Verhalten im Straßenverkehr. Wie Hjalmar Brandt vom Verband für Bildung und Erziehung (VBE) nachdrücklich bestätigt, müssen Kinder so früh wie möglich zur Selbstständigkeit erzogen werden.

Kinder lernen nur dann nachhaltig, wenn sie sich beispielsweise den Gefahren des Straßenverkehrs oder anderweitigen Situationen selbst stellen. Kinder hingegen, die in Watte gepackt werden, machen diese Erfahrungen nicht. Im Speziellen geht es dabei aber nicht nur um das selbstständige Bewältigen des Schulwegs, sondern auch um das soziale Miteinander, das durch das gemeinsame Busfahren mit gleichaltrigen im Schulbus entsteht. Selbstständigkeit ist in jeder Form ein elementarer Baustein zum Aufbau von Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung.

Gerade in einer Welt, in der jungen Menschen immer mehr Möglichkeiten offenstehen, sind diese Fähigkeiten, die vorrangig auf eigenen Erfahrungen beruhen, enorm wichtig für einen stabilen und selbstbestimmten Start ins Leben. Junge Menschen, denen Entscheidungen über ihre Jugend weitgehend abgenommen worden sind, tun sich in der Welt der Erwachsenen deutlich schwerer. Ersichtlich wird dies auch an zahlreichen deutschen Universitäten, an denen tatsächlich in zunehmender Zahl Eltern aufschlagen, um sich über die Zensuren ihrer erwachsenen Sprösslinge zu beschweren.

Woher stammt das Phänomen?

Zugegeben steckt in jedem Elternteil ein kleiner Hubschrauber. Das ist auch nur allzu verständlich, denn wer würde seine Kinder nicht beschützen und ihnen den bestmöglichen Start ins Leben ermöglichen wollen? Es handelt sich also um kein ganz neues Phänomen, sondern um eines, das sich in den letzten Jahrzehnten lediglich massiv verstärkt hat. Die Ursache ist an dieser Stelle, ebenso wie bei vielen anderen gesellschaftlichen Phänomenen, die Kombination aus technischem Fortschritt und den Medien.

Nehmen wir als Beispiel die Gefahren des Straßenverkehrs, die so viele Eltern dazu bewegen, ihr Kind zusammen mit einem Schwarm anderer Helikopter-Eltern zur Schule zu fahren. Natürlich ist der Straßenverkehr eine prinzipielle Gefahrenquelle – allerdings hat das Gefahrenpotenzial seit 1980 deutlich abgenommen. Von insgesamt 51.758 Kindern, die 1980 innerhalb geschlossener Ortschaften im Verkehr verunglückt sind, hat sich die Zahl bis ins Jahr 2015 auf 21.869 reduziert. Zu verdanken ist dies unter anderem auch der in Schulen und Kindergärten durchgeführten Verkehrserziehung. Gefährlicher ist der Straßenverkehr also nicht geworden.

© sabine hürdler - Fotolia.com
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Warum aber steigt dann die Angst? Wie bei so vielen Sachverhalten auf der Welt sind es die Medien, die besonders spektakuläre Fälle hervorheben. Das trifft sowohl auf etablierte Medien als auch in besonderem Maße auf die allgegenwärtigen neuen Medien zu, durch die wir von jedem noch so kleinen Vorfall erfahren, von dem vor 30 Jahren kaum jemand Notiz genommen hätte. Unter anderem auf dieser Basis entstehen falsche Eindrücke, die Kerosin in den Tanks von Helikopter-Eltern sind.

Befeuert wird das Phänomen zudem durch das Vorhandensein von Smartphones bei älteren Kindern natürlich auch außerhalb der Schule und des Schulwegs. Während es vor 15 Jahren noch völlig üblich war, dass der Nachwuchs ausschließlich mit einer mehr oder minder genau gehenden Armbanduhr zum Spielen gegangen ist, erliegen viele Eltern heute der Versuchung, ihrem Kind hinterherzutelefonieren oder dieses per App sogar auf Schritt und Tritt zu orten. Dass dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, liegt auf der Hand.

Gehöre ich auch dazu?

Da sich die Intention der Helikopter-Eltern auf viele Lebensbereiche ausdehnt, gibt es einige Indikatoren, anhand derer Sie erkennen können, ob Sie auch zu den vielleicht etwas zu übervorsorglichen Hubschraubern gehören. Je mehr der folgenden Punkte auf Sie zutreffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass in Ihnen auch ein kleiner Helikopter wohnt.

  1. Sie übernehmen die Kontrolle über den kompletten Tagesablauf ihres Kindes und organisieren von Schule über Nachhilfe und Musikunterricht bis hin zu Verabredungen alles bis ins kleinste Detail.
  2. Sie nehmen ihrem (älteren) Kind jede Verantwortung ab, indem Sie sich für dessen Hausausgaben überverantwortlich zeigen und dafür sorgen, dass ihr Spross im Haushalt kaum einen Finger krümmen muss.
  3. Sie verfolgen ihr Kind auf Schritt und Tritt. Wahlweise erkundigen Sie sich per Mobiltelefon ständig über das aktuelle Befinden oder begleiten ihr Kind in der Regel zu Veranstaltungen, wo die Anwesenheit von Eltern eher unüblich ist.
  4. Sie schaffen es nicht, ihr Kind beim Spielen loszulassen. Besonders häufig ist dieses durch einen überbordenden Schutzmechanismus hervorgerufene Phänomen auf Spielplätzen anzutreffen, wenn Eltern ihren Nachwuchs vor jedem noch so kleinen blauen Fleck bewahren wollen.
  5. Sie nehmen die schulischen Leistungen ihres Kindes persönlich. Es ist verständlich und gut, dass Sie ihr Kind vor schlechten Noten bewahren möchten. Wenn Sie allerdings merken, dass Sie schlechte Zensuren persönlich in den Wahnsinn treiben oder Sie sich dabei ertappen, sich selbst stark ins Zeug zu legen, um ihrerseits für Bestnoten zu sorgen, ist Vorsicht geboten. Kinder brauchen Unterstützung, müssen sich jedoch auch selber eine sinnbildliche blutige Nase in der Schule holen, um für ihr eigenes Leben zu lernen.

Wie mache ich es besser?

Wenn Sie nach der Lektüre dieses Artikels auch bei sich selbst einen leichten Drang zum Abheben festgestellt haben, stellen Sie sich höchstwahrscheinlich eine entscheidende Frage: Wie kann ich meinem Kind bestmöglich helfen und ihm dabei die optimalen Möglichkeiten für das Sammeln eigener Erfahrungen geben? Eine kurze Antwort darauf lautet: Vertrauen. Vertrauen Sie auf die Fähigkeiten ihrer Kinder und lassen Sie sie ihre eigenen Erfahrungen machen, denn vor dem Leben beschützen können Sie ihren Nachwuchs nicht. Und geben wir es doch zu, der eine oder andere blaue Fleck auf dem Spielplatz war für jeden von uns sehr lehrreich.

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